Berlin. Der zweite Fall des neuen Berliner „Tatort“-Duos führt in die vietnamesische Community. Und erfordert viel Einfühlungsvermögen.

  • Heute läuft in der ARD der „Tatort“ aus Berlin
  • Der zweite Fall der Kommissare Susanne Bonard (Corinna Harfouch) und Robert Karow (Mark Waschke) spielt in der vietnamesischen Community in Berlin
  • Besetzung, Kritik, Schnellcheck: Die wichtigsten Infos zum aktuellen Kult-Krimi

Nach dem Serien-Tod seiner Kollegin Nina Rubin ist der Berliner „Tatort“-Kommissar Robert Karow (Mark Waschke) sichtlich angefasst. Gegenüber seiner neuen Kollegin deutet er zwar an, dass er nicht so der soziale Mensch sei und dass sie damit umgehen müsse. Aber dann wird er doch ganz rührselig.

Hat Tränen in den Augen, als er Videomaterial sichten muss. Und übergibt sich danach fast. Aber auch der Kollegin Susanne Bonard (Corinna Harfouch), geht der Fall sichtlich nah. Weshalb sie schon mal den Tatort verlassen und sich ins Gras legen muss.

Folter im Tatort: Wiederkehrendes Muster

Ein Mann wurde in seinem Einfamilienhaus in Lichtenberg mit 17 Messerstichen ermordet. Ein Raubmord kann ausgeschlossen werden. Dafür machen die Ermittler im Keller einen grausigen Fund. Eine Folterkammer voller Blutspuren. Schon wieder, möchte man denken. Erst vor vier Wochen ging es im Münchner „Tatort“ um einen ähnlichen Fall. Auch da wurden Videos von den Gewalttaten gemacht, die die Ermittler auswerten mussten. Aber da hielt die Kamera immer länger drauf als nötig. Es geht aber auch ohne Voyeurismus. Wie hier, wenn man nur in Waschkes Mimik liest, was er sieht.

 Die Tierärztin Lê Müller (Mai-Phuong Kollath) schweigt eisern vor Karow.
 Die Tierärztin Lê Müller (Mai-Phuong Kollath) schweigt eisern vor Karow. © ARD | rbb

Sogleich kehrt sich das Täter-Opfer-Verhältnis um. Der Tote war ein Täter, der offenbar mehrere Frauen gemartert und getötet hat. Nur durch einen Zufall konnte sein jüngstes Opfer sich wehren und entkommen. Der Fall fällt unter Notwehr, die Täterin wird strafrechtlich nicht belangt. Die Polizei fahndet dennoch nach ihr, weil sie offenbar schwer verletzt wurde und sich den Ordnungskräften aber nicht anvertrauen will. Vielleicht auch, weil es noch einen Mittäter geben könnte.

Tatort: Misstrauen gegenüber den Kommissaren

Die Folge „Am Tag der wandernden Seelen“ führt in eine Parallelgesellschaft, der vietnamesischen Community von Berlin. Wie sich schnell herausstellt, war die Tierärztin Lê Müller (Mai-Phuong Kollath) mal mit dem Täter verheiratet und hat ihm junge Landsmänninnen vermittelt, die sich um seine pflegebedürftige Mutter kümmern sollten. Nur war die Mutter da längst tot. Und die jungen Frauen erwartete ein grauenhaftes Schicksal.

Doch auch die Ärztin schweigt beharrlich. Ihre Praxis voller Vietnamesen leert sich im Nu, während sie in ihrem Behandlungszimmer verhört wird. Und eine ebenfalls vietnamesisch-stämmige LKA-Beamtin (Pham Thi Mai) schaltet sich ein, weil sie in Sachen Wirtschaftskriminalität im Milieu ermittelt.

Den Kommissaren und mit ihnen dem Fernsehpublikum werden einige Wahrheiten offenbart, von denen sie keine Ahnung hatten. Dass Vietnamesen noch immer unter dem Trauma der „Baseballschläger“-Jahre der Nachwendezeit leiden, in denen die Ordnungskräfte sie im Stich ließen. Aber auch, dass die BRD einst sogenannte Boatpeople (Bootsflüchtlinge) aus Südvietnam aufnahm, die DDR aber Vertragsarbeiter aus dem Bruderland Nordvietnam, die nach der Wende in Existenznot gerieten.

Mit viel Einfühlungsvermögen gilt es, sich in die fremde Kultur zu tasten und Vertrauen zu gewinnen. Dabei kommen die Kommissare auch in die Pho Dâ Pagode, das kulturelle Zentrum der Gemeinde, wo den Seelen der Toten gedacht wird. Und wo Karow in Tränen ausbricht.

Der Berliner Tatort ist konventioneller und braver geworden

Eine starke Folge. In einem den meisten gänzlich unbekannten Milieu. Wobei die Kommissare wegen Asbestbefalls auch in einer Interimslösung arbeiten müssen: im ehemaligen Flughafen Tegel! In ihrem zweiten Fall (Harfouch feierte ihren Einstand vor einem Jahr mit einer Doppelfolge) kommen sich die ungleichen Kommissare etwas näher. Und doch fehlt Meret Becker als Kommissarin Rubin schmerzlich. Weil mit ihr auch das Fiebrige, Treibende, immanent Großstädtische verschwunden ist.

Der neue Berliner „Tatort“ ist baver und konventioneller. Die Folge von Mira Thiel (Regie) und Josefin Scheffler (Drehbuch) weiß aber auf andere Ebene zu bannen. Einmal fahren die Kommissare gemeinsam in die Waschstraße. Nicht nur, weil Karows es nötig hat. Sondern weil sie ihre Seelen reinigen müssen.

„Tatort: Am Tag der wandernden Seelen“: ARD, Sonntag, 5. Mai, 20.15 Uhr.